Vorwort

Ist es normal, dass ich ständig zum Smartphone greife? Kann Instagram süchtig machen? Warum schauen manche Menschen ganze Staffeln von Netflix-Serien am Stück? Kann es sein, dass die Menschen immer weniger miteinander reden und stattdessen nur noch in ihre Smartphones schauen? Die Kommunikationswissenschaft liefert Antworten auf diese und viele weitere Fragen. Sie hinterfragt und analysiert, wie Medien unseren Alltag bestimmen, wie wir mit ihnen umgehen und welchen Einfluss sie auf unser Denken, Fühlen und Handeln haben. Sie kann helfen, aktuelle Phänomene zu erklären und darauf aufbauend Handlungsempfehlungen für Politik, Wirtschaft und den einzelnen Menschen geben.

Ein Problem ist allerdings, dass die Erkenntnisse und Befunde — genauso wie in anderen Wissenschaftsdisziplinen auch — häufig in kostenpflichtigen Fachzeitschriften publiziert werden und darüberhinaus für Laien meistens nur schwer zu verstehen sind. Wissenschaftliche Texte sind naturgemäß sehr sachlich, wenig spannend und vermitteln mitunter recht nüchtern, welche Ergebnisse zum Beispiel auf Basis von erhobenen Daten erbracht werden konnten. Im schlimmsten Fall sprechen Wissenschaftler1 mit ihrer Wissenschaft vorrangig andere Wissenschaftler an und nutzen dabei auch noch ihren eigenen Fachjargon. Kritisch betrachtet interessiert sich eine solche Wissenschaft mehr für ihre internen Konflikte und Diskussionen, als für externe Anwendungspotenziale. Sie bleibt losgelöst, selbstvergessen und für das Gros der Menschheit nahezu bedeutungslos.

Besonders problematisch ist dabei, dass die eigentlichen Implikationen und Anwendungsmöglichkeiten, sowie Bezüge zur realen Welt meistens nur angerissen und nur wenig ausführlich diskutiert werden. Vor diesem Hintergrund fragen wir uns: Wie sinnvoll ist eine solche Forschung, die nicht in die Gesellschaft hineinwirkt, die diejenigen Menschen, Institutionen, Firmen oder Politiker nicht erreicht, die am meisten von ihr profitieren könnten? Wie sinnvoll ist Forschung, die nur von anderen Forschern gelesen wird?

Was ist sinnvolle Forschung?

Gutes wissenschaftliches Arbeiten lässt sich anhand vieler Kriterien beurteilen. Wir können zum Beispiel die Güte der Theoriearbeit oder die Angemessenheit der Methode bewerten. Wir können weiterhin evaluieren, wie gut eine Arbeit an bestehende Befunde anknüpft und inwiefern die statistischen Analysen korrekt durchgeführt und interpretiert wurden. Solche Kriterien sind selbstverständlich wichtig, um die Qualität einer wissenschaftlichen Arbeit zu bewerten. Genügen diese Kriterien, um eine Forschungsarbeit als sinnvoll zu beurteilen? Unsere Antwort ist: nein. Sie sind wichtige Voraussetzungen für qualitativ hochwertige Forschung, aber sie allein machen Forschung noch nicht sinnvoll oder nützlich.

Das Online-Journal „The New Atlantis“ veröffentlichte im Jahr 2016 einen Artikel, in dem Daniel Sarewitz die damalig vorherrschende  Wissenschaftspraxis anprangert.2 Seine Thesen sind zwei Jahre später immer noch hochaktuell. Er argumentiert unter anderem, dass Wissenschaft sich jahrzehntelang kaum vor der Gesellschaft verantworten musste, da nach wie vor der Glaube besteht, wahrer wissenschaftlicher Fortschritt entstünde nur aus dem freien Spiel der Intellektuellen, die sich das Subjekt ihrer Forschung selbst auswählen und die nur von ihrer Neugier gegenüber dem Unbekannten getrieben sind.3

Sarewitz prangert an, dass Wissenschaft häufig nur als Selbstzweck betrieben wird und damit der wahre Fortschritt gelähmt wird. Losgelöst von öffentlicher Verantwortung und getrieben von falschen Anreizsystemen, produzieren Wissenschaftlicher Publikationen, die oftmals kaum gelesen und häufig leider auch keinen messbaren bzw. wahren Mehrwert haben. Er resümiert daraus, dass sich die Forschung verändern muss. Dazu macht er den folgenden Vorschlag:4

Science will be made more reliable and more valuable for society today not by being protected from societal influences but instead by being brought, carefully and appropriately, into a direct, open, and intimate relationship with those influences.

Sinnvolle Forschung ist also diejenige, die neben einer hohen wissenschaftlichen Qualität auch tatsächliche Probleme löst, einen Mehrwert für gesellschaftliche Debatten und Diskussionen schafft und belastbare Empfehlungen für den Umgang mit wichtigen Fragestellungen unserer Zeit liefert. Sinnvolle Forschung ist eine, die sich vor der Gesellschaft zweifelsfrei verantworten kann.

Was ist unser Ziel?

Wir glauben, dass es viele gute und sinnvolle Forschungsarbeiten im Fach Kommunikationswissenschaft gibt. Wir stimmen aber auch Sarewitz zu, dass diese häufig von der Gesellschaft abgekoppelt in ihrer eigenen Wissenschaftswelt existieren. Unser Fach selbst beschäftigt sich jedoch auch mit der Lösung dieses Problems:5 Sie heißt Wissenschaftskommunikation. Und genau da setzt dieses Blog an.

Smartphones und andere mobile Geräte sind ständige Begleiter in unserem Alltag. Was macht das mit uns? Verändert sich dadurch unsere Kommunikation mit anderen Menschen?
Foto: rawpixels.com (pexels)

Es gibt eine Vielzahl interessanter Studien in der Kommunikationswissenschaft, die eine größere Leserschaft verdienen — eine Leserschaft, die über die Grenzen der wissenschaftlichen Gemeinschaft hinausgeht. Wir sind überzeugt, dass jeder Mensch davon profitieren kann, etwas über kommunikationswissenschaftliche Forschung und deren Befunde zu lernen. Deswegen möchten wir die kommunikationswissenschaftliche Forschung aus ihrem Elfenbeinturm holen, sie ansprechend und nachvollziehbar aufbereiten und dadurch die Gesellschaft auf sie aufmerksam machen. Wir glauben auch, dass Unternehmen, Institutionen und Politiker von der einfachen Vermittlung kommunikationswissenschaftlicher Befunde profitieren können.

Der Titel „kommpakt“ ist dabei Programm. In kompakten Beiträge wird die kommunikationswissenschaftliche Forschung zu aktuellen Themen aufgearbeitet und aktuelle Fragestellungen in den Fokus genommen. Primäres Ziel dieses Blogs ist es dabei zu informieren und Implikationen für das individuelle Leben aufzuzeigen. Wir adressieren also neben Wissenschaftlern, Politikern und wirtschaftlichen Institutionen insbesondere das Individuum, die interessierte Leserin und den interessierten Leser. Dabei setzen wir uns als Ziel, eine umfassenden Einblick in die verschiedenen Forschungsbereiche zu geben und dabei nicht nur Befunde aufzulisten, sondern auch Probleme, Fallstricke und Hindernisse bei der Erforschung von Kommunikationsphänomenen aufzuzeigen und damit wissenschaftliche Forschung nachvollziehbarer und transparenter zu machen.

Ein Blick in die Zukunft

Die Idee zu diesem Blog wurde im Seminar „Media Enjoyment“ im Sommersemester 2018 an der Universität Hohenheim geboren. Ausgangspunkt war die vom Dozenten und den Studierenden geteilte Frustration, dass die in Seminaren erbrachte Arbeit nur selten einen Mehrwert darstellt, der über das Bestehen der Lehrveranstaltung hinausgeht. Dieser Blog dient entsprechend dazu, die studentische Arbeit einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Die Master-Studierenden beschäftigten sich derzeit mit unterschiedlichen Fragestellungen rund um den Konsum von Serien, insbesondere über sogenannte „Video-On-Demand-Angeboten“ (z. B. Netflix, Amazon Prime, Maxdome…). Die Relevanz dieser Thematik ist unstrittig: Eine aktuelle Umfrage in der deutschen Bevölkerung aus dem Jahr 20176 zeigt, dass gut ein Drittel der Befragten (28,4%) fast täglich eine Serie schauen. Weitere 16,2% schauen Serien an mindestens 4 Tage pro Woche. Nur wenige Befragte (8,1%) gaben an, nie eine Serie zu schauen.7 Während ältere Personen häufig Serien aus dem Freien Fernsehen bevorzugen, nutzen Jüngere zwischen 18 und 29 Jahren vorrangig die neuen Video-On-Demand-Angebote und dabei insbesondere Netflix (51,5%) und Amazon (44,3%).8 Vor dem Hintergrund dieser hohen Nutzerzahlen werden wir uns in den nächsten Monaten dem Thema Serienkonsum aus verschiedenen Blickwinkeln nähern. Dabei beleuchten wir unterschiedliche Auswahl-, Rezeptions- und Wirkungsprozesse. Unter anderem fragen wir beispielsweise:

  • Was ist eigentlich Binge-Watching und wie unterscheidet es sich von suchtartiger Seriennutzung?
  • Wie wählen Nutzerinnen und Nutzer Serien oder Filme bei On-Demand-Angeboten aus?
  • Welchen Einfluss hat ein „Spoiler“ auf das Unterhaltungserleben?
  • Ersetzt das Schauen von Serien andere (Freizeit-)Aktivitäten?
  • Welche sozialen Folgen hat häufiger Serienkonsum?
  • Was ist Parasozialität und welchen Einfluss kann sie auf unsere Leben haben?
  • Was versteht man unter dem “Werther-Effekt” und warum ist dieser im Kontext von aktuellen Serien relevant?

Um jedoch dem selbstgesteckten Ziel — das öffentliche Verständnis für die sozialen, politischen und ethischen Implikationen kommunikationswissenschaftlicher Forschung zu verbessern — auch langfristig gerecht zu werden, nehmen wir im Anschluss daran aber auch andere Forschungsgebiete in den Blick. Genaue Ausgestaltungskriterien werden zu diesem Zweck jedoch bewusst offen gehalten.

Abschließend möchten wir der Hoffnung Ausdruck verleihen, dass dieser Blog uns hilft, reflektierter und kreativer mit kommunikationswissenschaftlicher Forschung umzugehen und ihr besonderes Potenzial, Antworten zu drängenden Fragen in der aktuellen Medien- und Informationsgesellschaft zu geben, aufzuzeigen.


Autor: Dr. Philipp K. Masur
Philipp ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Medienpsychologie an der Universität Hohenheim. In seiner Forschung untersucht er unterschiedliche Prozesse der computer-vermittelten Kommunikation. Zurzeit erforscht er die Wahrnehmung und Beurteilung von Privatheit in verschiedenen Online-Umwelten, sowie darin stattfindende Selbstoffenbarungs- und Privatheitsregulationsprozesse.


Fußnoten

  1. Zu Gunsten eines besseren Leseflusses wird in Texten auf diesem Blog stets die männliche Form verwendet. Beim Einsatz dieses generischen Maskulinums wird jedoch immer auch die weibliche Form mitgedacht.
  2. Sarewitz, D. (2016). Saving Science. The New Atlantis, 49. https://www.thenewatlantis.com/publications/saving-science
  3. Sarewitz, D. (2016), S. 6. 
  4. Sarewitz, D. (2016), S. 8. Übersetzung: “Wissenschaft wird reliabler und wertvoller für die heutige Gesellschaft sein, nicht indem man sie vor gesellschaftlichen Einflüssen schützt, sondern indem man sie vorsichtig und angemessen in eine direkte, offene und intime Beziehung mit diesen bringt.”
  5. Nicht umsonst gibt es in der Deutschen Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft seit 2017 die Fachgruppe “Wissenschaftskommunikation”.https://dgpuk.de/de/wissenschaftskommunikation.html
  6. Splendid Research. (2017). Studie: Wie gerne und wie häufig schauen die Deutschen Serien? Verfügbar unter: https://www.splendid-research.com/de/studie-serien.html. Es handelt sich hierbei um eine Befragungsstudie, bei der eine Stichprobe von N = 1031 Personen über bevölkerungsrepräsentative Quoten generiert wurde.
  7. Splendid Research. (2017), S. 6.
  8. Splendid Research. (2017), S. 10.

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