Das erste Date steht an und damit die Frage, wie dieses verbracht wird. Gemeinsam Essen gehen? Sicherlich nach wie vor der Klassiker, doch mittlerweile lautet die Antwort immer häufiger: Gemeinsamer Netflix-Abend. Die Bedeutung die Netflix für das Liebesleben hat, lässt sich gut an dem Wandel des Begriffs „Netflix and Chill“ erkennen. Bedeutete er zunächst lediglich das Serienschauen über Netflix mit einer einhergehenden Entspannung, ist er mittlerweile die moderne Form der Frage „Kommst du noch auf einen Kaffee mit nach oben?“. Somit ist der Begriff zu einem Synonym für eine Verabredung zum Sex geworden. Auch das Urban Dictonary hat den Begriff mittlerweile aufgenommen und beschreibt ihn als Code dafür, dass sich zwei Personen zuhause treffen und sexuellen Aktivitäten nachgehen, während im Hintergrund Netflix läuft.1
Was früher als verpönt galt, liegt nun im Trend: Stundenlanges Serien schauen – mit dem Partner oder bei einem Date – ist kein Zeichen mehr für eine eingeschlafene Beziehung oder langweilige Dates, bei denen die Beteiligten lediglich einer Konversation aus dem Weg gehen wollen. Doch wie kam es, dass gemeinsam verbrachte Abende oder gar Tage vor dem Fernseher nicht mehr negativ bewertet werden?
Seriengeschmack als Prädiktor für die Beziehungspassung
Das Format der Fernsehserie gab es lange bevor es Netflix gab: Es entwickelte sich aus dem Format der Radioserie. Die erste Fernsehserie startete bereits 1947 in den USA.2 Jedoch hat Netflix das Serienschauen revolutioniert: Es ist nun möglich eine ganze Serie am Stück zu schauen – ohne Woche für Woche auf eine neue Folge warten zu müssen, die nur zu einer bestimmten Uhrzeit an einem bestimmten Tag läuft. Auch die Qualität und die Vielfalt der Serien ist gestiegen, sodass man schnell den Überblick verlieren kann. Eine konsequente Folge: Wer sich mit Serien auskennt, kann sich mit seinem Wissen positionieren und fühlt sich mit Gleichgesinnten verbunden.3
Der britische Psychologe Richard Wiseman rät in seinem Buch Quirkology dazu, beim ersten Date nicht über Filme zu sprechen. Die Begründung liefert eine Studie, die er mit seinen Kollegen James Houran und Caroline Watt im Rahmen des Edinburgh International Science Festival durchführte. Sie wählten hierfür eine experimentelle Studie in Form eines Speed-Dating Events. Hierbei wollten sie unter Anderem herausfinden, welche Gesprächsthemen beim ersten Date ein erneutes Treffen begünstigen und welche eher nicht. Dating-Partner, die sich über Filme unterhielten, wollten sich in lediglich 9 Prozent der Fälle wiedersehen. Bei Dating-Partnern, die über das Thema Reisen sprachen, wünschten sich dagegen 18 Prozent ein zweites Date.4
Allerdings gaben in einer von Netflix veröffentlichten Studie, in der 1000 Amerikaner befragt wurden, 63 Prozent an, das Thema Serien beim ersten Date als Gesprächsthema anzubringen. Ca. 58 Prozent der Befragten geben außerdem ihre Serienvorlieben auf ihren Social Media Profilen an. Das Ziel sei, sich selber attraktiver zu machen. Ein Viertel der Befragten finden den Gegenüber sogar attraktiver, wenn dessen Seriengeschmack dem eigenen ähnelt.5 Das Thema Serien scheint heutzutage beim Kennenlernen eine wichtige Rolle zu spielen. Es stellt sich die Frage, ob dies der Fall auch so wäre, wenn man der Studie von Richard Wiseman Vertrauen schenkt?

Eine mögliche Erklärung für diese Diskrepanz ist der Unterschied von Film und Serien, insbesondere hinsichtlich der Differenz des männlichen und des weiblichen Filmgeschmacks. Männer bevorzugen mehrheitlich Actionfilme, während Frauen lieber eine Romantische Filmkomödie anschauen.6 Zu dieser Erkenntnis kamen auch Wiseman und Kollegen in ihrer zuvor genannten Studie. Sie fragten vorab den Filmgeschmack der Teilnehmer ab. Es zeigte sich, dass 49 Prozent der Männer Actionfilme bevorzugten. Bei den Frauen waren es nur 18 Prozent. 29 Prozent der Frauen gaben an gerne Musical-Filme zu schauen, wohingegen dies nur 4 Prozent der Männer angaben. Wiseman beobachtete außerdem in den Gesprächen, dass bei dem Thema Filme überwiegend argumentiert und diskutiert wurde. Beim Thema Reisen hingegen, wurde sich über schöne Erlebnisse ausgetauscht. Wiseman schließt daraus, dass die Dating-Partner sich hierbei besser fühlen und sich deswegen gegenseitig attraktiver finden.7 Bei Serien scheint es im Vergleich zu Filmen hingegen einfacher einen gemeinsamen Nenner zu finden.
Eine Parship Umfrage legt dar, dass sich fast die Hälfte der Befragten einen Partner wünscht, der einen ähnlichen Seriengeschmack hat. Befragt wurden hierbei 2360 Parship-Mitglieder zwischen 18 und 69 Jahre.8 Das Ergebnis deckt sich also mit der bereits erwähnten Netflix-Studie. Der Paarberater Eric Hegmann erklärt dies dadurch, dass ein ähnlicher Seriengeschmack ähnliche Werte und gleiche Interessen suggeriert, was zu einem Gefühl von Geborgenheit und Vertrautheit führt.9
Gemeinsames Serienschauen als Hobby
Doch mit den ersten Dates endet die Beliebtheit des gemeinsamen Netflix-Vergnügens nicht. Auch innerhalb von Beziehungen ist das gemeinsame Serienschauen zu einem beliebten Paarhobby geworden. In der durch Netflix beauftragten Studie geben 51 Prozent der Befragten an, dass das Teilen des Netflix-Passworts der Beziehung eine Form der Ernsthaftigkeit verleiht.10 Das Teilen des Netflix-Passworts scheint somit ein Meilenstein in der Beziehung zu sein, wie es noch vor einigen Jahren der geänderte Beziehungsstatus bei Facebook war. 17 Prozent der Befragten gaben jedoch an, dass das Teilen des Netflix Passworts erst mit der Verlobung für sie in Ordnung wäre. Dies unterstreicht, wie wichtig Netflix innerhalb einer Beziehung sein kann.11
Insbesondere in Partnerschaften, in denen die Partner keinen gemeinsamen Freundeskreis haben, scheinen Serien eine wichtige Rolle zu spielen. Gommilion und Kollegen fanden 2017 in einer Studie heraus, dass gefühlt kleine Freundeskreise durch gemeinsames Serienschauen in Partnerschaften kompensiert werden können, da das Teilen des Serienerlebens die Verbundenheit der Partner erhöht. Die soziale Vernetzung findet also durch das gemeinsame Serienschauen statt.12
Doch auch hier gibt es Ausnahmen: Die Möglichkeit ganze Serien am Stück zu schauen und die hiermit einhergehende gesteigerte Bedeutung von Netflix innerhalb von Beziehungen hat ein Phänomen hervorgerufen, das Netflix selbst als Fremdschauen betitelt. Im Jahr 2017 führten sie dazu auch eine Studie durch. Fremdschauen meint das heimliche Weiterschauen einer Serie, die man normalerweise mit dem Partner zusammenschaut. Von den ca. 30.000 Befragten weltweit, gab fast die Hälfte an, schon einmal fremdgeschaut zu haben. Von den Fremdschauern gaben 75 Prozent an, mehr als einmal fremdgeschaut zu haben. 61 Prozent gaben sogar an, dass sie bei Gelegenheit öfter fremdschauen würden. Der am häufigsten genannte Grund hierfür ist, dass die Serie ein solches Ausmaß an Spannung erzeugt, dass der „Fremdschauer“ unbedingt wissen wollte, wie es weitergeht. Am häufigsten passiert das Fremdschauen, wenn einer der Partner nicht zuhause ist. 15 Prozent gaben sogar an, sich zu dem Fremdschauen heimlich in einem anderen Raum zu verstecken. Die Studie gibt außerdem Aufschluss darüber, dass das Fremdschauen nicht selten zu Streitigkeiten führt.13
Take home message
Netflix hat es geschafft, einen neuen Trend im Dating- und Beziehungsalltag zu etablieren. Serien und der Seriengeschmack sind eines der Hauptthemen beim Dating geworden. Das gemeinsame Schauen von Serien ist zudem eine wichtige gemeinsame Freizeitaktivität geworden, die sogar die Qualität der Beziehung erhöhen kann. Durch das Gefühl der Verbundenheit kann laut einiger Studienerkenntnisse sogar das Fehlen von gemeinsamen Freunden kompensiert werden. Es ist entsprechend wenig verwunderlich, dass das Thema “Fremdschauen” in Beziehungen eine wachsende Rolle einnimmt und sogar mit Fremdgehen im klassischen Sinne verglichen wird. Vor diesem Hintergrund sollte man sich sicherlich bewusst machen, wie sehr man sich innerhalb einer Beziehung von Netflix vereinnahmen lässt. Sicherlich ist der Konsum von unterschiedlichen Serien kein Trennungsgrund und das Fremdschauen lässt sich im Normalfall doch auch ganz gut verkraften – oder etwa nicht?
Autorin: Anna-Maria Prax
Anna-Maria studiert Kommunikationswissenschaften und Medienforschung an der Universität Hohenheim.
Fußnoten
- Simon, V. (30.09.2015): Sex statt Serien. http://www.sueddeutsche.de/leben/netflix-and-chill-sex-statt-serie-1.2671845
- Hickethier, Knut(1991): Die Fernsehserie und das Serielle des Fernsehens (S. 17). Lüneburg.
- Landolt, R.(10.02.2016) Wer sich liebt, teilt auch die Serien-Vorlieben. http://www.20min.ch/schweiz/news/story/Wer-sich-liebt–teilt-auch-die-Serien-Vorlieben-14426672
- Wiseman, R. (2007): Quirkology – How We Discover the Big Truths in Small Things (S. 163 ff.) New York.
- Fries, T. (08.02.2016): Die Liebe in Zeiten von Netflix. https://www.jetzt.de/serien/netflix-studie-zu-beziehungen-und-serien
- Prommer, Elizabeth(2011): Das Kinopublikum im Wandel: Forschungsstand, historischer Rückblick und Ausblick. In: Glogner-Pilz, Patrick; Föhl, Patrick S. (Hrsg.) Das Kulturpublikum Fragestellungen und Befunde der empirischen Forschung (S. 243). Wiesbaden.
- Wiseman, Richard(2007): Quirkology – How We Discover the Big Truths in Small Things (S. 163 ff.) New York.
- Schiffers, T. (28.02.2018): Parship Wissen: Film-Liebe – fast die Hälfte der Singles wünscht sich einen Partner mit ähnlichem Geschmack. https://www.parship.de/presse/pressemeldungen/2018/parship-wissen-film-liebe-fast-die-haelfte-der-singles-wuenscht-sich-einen-partner-mit-aehnlichem-geschmack/
- Schiffers, T. (28.02.2018).
- Fries, T. (08.02.2016): Die Liebe in Zeiten von Netflix. https://www.jetzt.de/serien/netflix-studie-zu-beziehungen-und-serien
- Fries, T. (08.02.2016).
- Gomillion, Sarah; Gabriel, Shira; Kawakami, Kerry ; Young, Ariana. (2016). Lets stay home and watch TV: The benefits of shared media use for close relationships. Journal of Social and Personal Relationships. 34(6). Link
- Dwyer, Erin(13.02.2017): Dein Partner hat eine Affäre mit Netflix? Na, dann schönen Valentinstag. https://media.netflix.com/de/press-releases/netflix-cheating-is-on-the-rise-globally-and-shows-no-signs-of-stopping